Am 26. September 2024 endete unsere NZZ Gruppenreise, welche durch die atemberaubende Welt der Kanadischen Arktis und Teile von Westgrönland führte. Lesen Sie nachstehend die Tagesberichte vom Fachreferenten an Bord - Prof. Dr. Heinz-Ulrich (Uli) Reyer.

Tag 1, Sonntag, 8. September 2024: Anreise nach Reykjavik
Die Reise beginnt! Alle 14 NZZ/MCCM-Gäste und ich (Uli Reyer) als Begleiter treffen pünktlich am Gate ein; auch das Boarding erfolgt nach Zeitplan. Dann sitzen wir zwar 50 Minuten im Flugzeug und warten auf das Abheben (Begründung: hohes Verkehrsaufkommen), holen aber dank Rückenwind mehr als eine halbe Stunde wieder ein, sodass wir fast pünktlich in Reykjavik ankommen.
Wer beim Anflug einen Fensterplatz auf der linken Seite hat, kann die schwarzen Lavafelder sehen, die von den jüngsten Vulkanausbrüchen auf der Halbinsel Reykjanes stammen. An einigen Stellen stehen weisse Wolken darüber: Dort verdunstet Wasser von kürzlichen Regelfällen über der noch heissen Lava.
Der Transport ins nahegelegene Hotel Courtyard und das Einchecken klappen problemlos. Die Werbung des Hotels, es sei «located inside the world known Reykjanes UNESCO Global Geopark» und «surrounded by geological wonders and attractions» sollte man jedoch nicht zu wörtlich nehmen. Der Park umfasst die gesamte Reykjanes-Halbinsel; die unmittelbare Umgebung des Hotels erweist sich keineswegs als Wunder und Attraktion (Bild nachstehend).

Blick aus dem Hotel Courtyard, Reykjavik
Kurz nach dem Einchecken gibt es einen Begrüssungscocktail mit Informationen zur Weiterreise am nächsten Tag. Dabei stellt sich heraus, dass offenbar alle 115 Gäste, die die SH-Vega-Reise gebucht haben, schon hier versammelt sind. Danach essen einige von uns 15 NZZ/MCCM-Reisenden im Hotelrestaurant, andere, die noch etwas laufen wollten, im ca. 20 Minuten entfernten Dorf.
Um 23:22 gibt es für die, die geweckt werden wollten, den ersten «Aurora-Alarm» aufs Handy, d.h. die Mitteilung, es seien Polarlichter zu sehen. Die waren aber offenbar mit blossem Auge kaum wahrzunehmen und nur auf Handyfotos nach Bildbearbeitung zu erkennen.
Tag 2, Montag, 9. September 2024: Reykjavik - Kangerlussuaq
Weiter geht’s mit Frühstück ab 06:00, Transport zum Flughafen und Einchecken. Alles reibungslos. Danach Flug über Grönland mit schönen Ausblicken auf die Berglandschaft an der Küste und den riesigen Eisschild im Landesinnern.

Flug über Grönlands Ostküste
Bei der pünktlichen Landung in Kangerlussuaq warten Busse, um uns zum etwa 20 Minuten entfernten Hafen zu bringen – auf der längsten befestigen Strasse Grönlands, die laut den launigen Bemerkungen des Fahrers mit 17 Km in beiden Richtungen gleich lang ist. Dann werden wir mit Schwimmwesten versorgt und mit Zodiacs zur SH VEGA gefahren.
Es folgen Einchecken, erstes Mittagessen, Sicherheitsinformationen und Verhaltensregeln an Bord sowie allgemeine Informationen über den Tagesablauf und die Vorstellung des Expeditionsteams durch dessen Leiterin Nicki D’Souza. Unsere Schweizer Gruppe und ich als Begleiter werden von ihr speziell begrüsst. Dann beginnt die Schiffsreise – und das gleich mit einem landschaftlichen Highlight: der Fahrt durch die spektakuläre Bergwelt des 170 Km langen Kangerlussuaq-Fjords – und das bei untergehender Sonne.

Fahrt durch den Kangerlussuaq-Fjord
Beim ersten gemeinsamen Abendessen an Bord herrscht beste Stimmung. Dafür hat der Restaurantchef auf unseren Wunsch die Tische so arrangiert, dass wir von nun an alle zusammensitzen können – trotz seiner Bemerkung «we normally don’t do such reservation».
Kurz vor Mitternacht reisst uns in den Kabinen eine Lautsprecherdurchsage aus dem Schlaf, dass wieder Polarlichter zu sehen sind – was aber nicht beeindruckender ist als am Tag davor.
Tag 3, Dienstag, 10. September 2024: Sisimiut
Nach einer absolut ruhigen Fahrt kommen wir heute Morgen planmässig in Sisimiut an. Nach dem Frühstück führen uns die Grönländerin Anette und ihre Tochter Nora sehr unterhaltsam in die traditionelle Kleidung der Frauen und die grönländische Sprache Kalaallisut ein – was darin mündet, dass wir anhand des ausgeteilten Textes alle Juullimi Qiimasuttut singen (Stille Nacht…).

Nora in traditioneller Kleidung
Danach folgt das Ausflugsprogramm – für einige mit einem ATV (all terrain vehicle) ins Hinterland, für andere als Wanderung zur historisch bedeutsamen Insel Sallinnguit, wo Inuit-Vorfahren schon vor 4000 Jahren gesiedelt haben. Die meisten begeben sich auf eigene Faust in den Ort und besichtigen das interessante Museum mit vielfältigen Artefakten und Informationen zur Geschichte der Gegend – von den ersten Besiedlungen bis zur Moderne.
Gegen 13:30 verlässt die SH VEGA Sisimiut. An Bord folgen die üblichen Einführungen in die AECO-Richtlinien zum Verhalten in der Arktis und zur Sicherheit bei Zodiacfahrten sowie Hinweise auf den (möglichen) Umtausch von zu grossen oder zu kleinen Gummistiefeln. Danach die Inspektion der Kleidung nach Samen, Insekten u.a. Fremdkörpern, die nicht eingeschleppt werden sollen.
Dann ein erster Vortrag: Andy Wenzel vom Expeditionsteam gibt eine ausgezeichnete «Introduction to Greenland», mit kurzen Informationen zu Grösse, Geologie, Fauna, Flora, Bevölkerung, politischem Status, Wirtschaft und früher Besiedlungsgeschichte.
Anschliessend folgt der «Captain’s Welcome Cocktail», bei dem Kapitän Lyubomir Garciyanov (ein Bulgare) alle Gäste begrüsst und die Verantwortlichen für verschiedene Bereiche vorstellt, z.B. für Technik, Sicherheit, Hotellerie, Restaurant und Küche, darunter auch Alexandra Müller die mitreisende Schweizer Sterneköchin. Auch er begrüsst noch mal speziell unsere NZZ/MCCM-Reisegruppe.
Damit endet zwar das offizielle Programm des vollgepackten Tages; aber unsere Schweizer Gruppe trifft sich nach dem Abendessen in der Observation Lounge, um vor dem Hintergrund eines fantastischen Sonnenuntergangs mit Sekt, Kuchen und vom Pianisten René Pardillo begleiteten Happy Birthday-Gesang auf einen Geburtstag anzustossen. Ich hatte die Bar, die Küche und René vorher über das Ereignis informiert. Danach erzählen wir alle ein wenig über uns und ziehen uns dann in bester Stimmung in unsere Kabinen zurück.
Tag 4, Mittwoch, 11. September 2024: Ilulissat
Der heutige Tag ist schnell beschrieben. Ganz gleich, ob man nach der Ankunft in Ilulissat (08:00 Uhr) mit einem Ausflugsboot entlang von riesigen Eisbergen gefahren wurde («Icefjord Cruise»), auf einer geführten Wanderung zu Punkten mit spektakulärer Aussicht über den Kangia-Fjord gelangt ist oder sich auf eigene Faust an dessen Rand begeben hat – es herrschte einhellig pure Begeisterung über die gewaltigen Eismassen.

Blick auf den Kangiafjord
Sie brechen vom im Landesinnern gelegenen Gletscher Sermeq Kujalleq ab und schieben sich über 60 Km durch den Fjord. Wenn sie das Meer erreichen, werden sie mit Strömungen zunächst nach Norden und dann nach Süden getrieben, bis sie völlig abgeschmolzen sind – die letzten erst auf der Höhe von New York. Der Sermeq Kujalleq ist der produktivste Gletscher der gesamten nördlichen Erdhalbkugel; er liefert 10% aller in Grönland entstehenden Eisberge. Wegen seiner gewaltigen Ausmasse wurde er 2004 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt und wegen seines schnellen Abschmelzens zu einem Symbol und Mahnmal für den Klimawandel. Auf dem Weg zum Kangiafjord hatten wir Gelegenheit das moderne «Icefjord Centre» zu besuchen, ein Museum das mehr durch seine Architektur und die einfallsreiche Gestaltung der Ausstellung beeindruckt als durch die vermittelte Information.

Icefjord Centre (Museum)
Tag 5, Donnerstag, 12. September 2024: Diskoinsel (Queqertarsuaq)
Nachdem wir Ilulissat am späten Vorabend verlassen haben, erreichen wir am nächsten Morgen gegen 07:00 die Diskoinsel, grönländisch Queqertarsuaq (=grosse Insel). Wir ankern in einigem Abstand vor dem gleichnamigen Ort (ca. 800 Einwohner) und werden mit Zodiacs an Land gebracht. Einige begeben sich auf eine 4.5-stündige Wanderung zu hohen Basaltklippen, die den vulkanischen Ursprung der Insel verraten. Andere besuchen eine Anlage mit Schlittenhunden, wo sie eine interessante Einführung in Zucht, Haltung und Verwendung der Tiere erhalten. Wiederum andere streifen nur durch den Ort. Dabei gewinnt man einen kleinen Eindruck vom Leben in einer Gemeinde, die – im Gegensatz zu Ilulissat – kaum vom Tourismus geprägt ist. Das sehenswerteste Gebäude ist eine schöne Kirche.
Kirche von Queqertarsuaq
Wie bisher an allen Orten haben wir als Gäste der SH VEGA auch in Queqertarsuaq freien Eintritt ins Museum. Es bietet ein buntes Durcheinander von Möbeln, traditioneller Kleidung, Werkzeugen, Artefakten aus verschiedenen Perioden, Gemälden, Fotos von ehemaligen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern – und ausschliesslich Information auf Dänisch und Kalaallisut. Daher verlässt man das Museum mit wenig Information, aber mit dem Eindruck, dass die Einheimischen stolz auf die Geschichte ihres Ortes sind und sich grosse Mühe gegeben haben, sie zu veranschaulichen.
Gegen 14:00 Uhr verlassen wir Queqertarsuaq und damit Grönland. Die kommenden 1½ Tage werden wir auf See verbringen und damit Zeit für ein umfangreiches Vortragsprogramm haben. Bereits am Nachmittag halte ich meinen ersten Vortrag: «Leben am Rande der Welt – Merkmale arktischer Ökosysteme». Er kommt offenbar besser an als der folgende zum Thema «The Origin auf Stars and Planets», der selbst für Englischsprachige völlig unverständlich war.
Tag 6, Freitag, 13. September 2024: Baffin Bay
Seitdem wir gestern Mittag Queqertarsuaq verlassen haben, befinden wir uns auf hoher See. Wir überqueren die Baffin Bay auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel, der Inuit-Siedlung Pond Inlet, wo wir morgen Vormittag ankommen wollen. Über weite Strecken sind wir in Nebel gehüllt; selbst, wenn der sich mal lichtet, ist ausser der endlosen Weite des Meeres kaum etwas zu sehen. Hin und wieder begleiten einige Eissturmvögel unser Schiff; einmal fliegt ein Trupp Krabbentaucher vorbei. Die Hoffnung, Wale zu entdecken, erfüllt sich nicht. Also verbringen wir die Zeit fast ausschliesslich im Schiff.

Neblige Fahrt über die Baffin Bay
Die meisten ruhen sich in ihrer Kabine von den erlebnisreichen, aber auch anstrengenden ersten Tagen aus – vielleicht unterbrochen von einem Besuch in der Sauna, im Fitnessstudio, in der Bibliothek und/oder von einer der Veranstaltungen in der Observation Lounge. Am Morgen hält dort Mariam Pousa vom Expeditionsteam, eine studierte Archäologin, einen Vortrag über die Besiedlung von Grönland und der kanadischen Arktis durch verschiedene Kulturen der Paleo-Inuit; danach folgt eine Kochdemonstration der Schweizer Sterneköchin Alexandra Müller.
Am Nachmittag halte ich meinen zweiten deutschen Vortrag: «Harte Zeiten im Winter – Leben unter extremen Bedingungen». Anschliessend gibt der Bordfotograf Andrew Miller Tipps zur Digitalfotografie.
Wie immer findet um 18:30 ein Recap statt, bei dem die Expeditionsleiterin Informationen zum Ablauf des nächsten Tages mitteilt. Danach zwei Kurzvorträge durch Mitglieder des Expeditionsteams – einer über Eisturmvögel und einer über Polarlichter. Für die waren wir in der vergangenen Nacht wieder mit Lautsprecherdurchsage geweckt worden, aber bis man angezogen und draussen war, war der Himmel schon von Wolken verdeckt. Nach dem Abendessen unterhalten der Pianist René und das schwedische Expeditionsteam-Mitglied Gustav Länne die Gäste in der Observation Lounge mit Klaviermusik und ausgezeichnetem Gesang. Auf den kommenden Tag ist wieder eine Zeitumstellung nötig. Damit sind wir inzwischen 6 Stunden hinter der Zeit in Deutschland und der Schweiz zurück.
Tag 7, Samstag, 14. September 2024: Pond Inlet
Am frühen Morgen kommen wir in Pond Inlet an – und damit in Kanada, bzw. in Nunavut (=unser Heimatland), einem riesigen Territorium, in dem die dort lebenden Inuit besondere Rechte haben und weitgehende Selbstbestimmung geniessen. Die Formalitäten für die Einreise sind nach 1½ Stunden erledigt; wir erhalten «Clearance» und dürfen an Land. Dort werden wir gruppenweise von Einheimischen durch den Ort geführt, der einen trostlosen und für unsere Begriffe verwahrlosten Eindruck macht. Überall liegen Dinge herum, die wir als Müll einstufen und entsorgen würden. Aber wenn man arm und im Winter wochenlang von Nachschub per Schiff abgeschnitten ist und Flüge teuer sind, hütet man sich verständlicherweise, Dinge wegzuwerfen. Man könnte sie ja vielleicht irgendwann brauchen.

Typisches Grundstück in Pond Inlet
Wir erfahren, dass die meisten der ca. 1600 Bewohnerinnen und Bewohner (davon 93% Inuit) in der Verwaltung, im Schulwesen (400 Schülerinnen und Schüler) und in der Versorgung arbeiten, denn Pond Inlet ist die am weitesten nach Norden vorgeschobene Siedlung Kanadas – und damit für alle Abläufe in dieser entfernten Welt zuständig. Daneben betreiben einige Einheimische noch Fischfang und jagen Robben und Wale (vor allem Narwale), für die sie eine Quote haben. Da in der heutigen Zeit relativ viele Kreuzfahrtschiffe anlanden, wird in Vorführungen auch das kulturelle Erbe der Inuit vermittelt. Wir erleben im Gemeindezentrum eine Vorführung mit Gesang, Trommeln, Tanz und traditionellen sportlichen Übungen.

Kulturelle Vorführung
Am Nachmittag sind wir wieder zurück auf der SH VEGA. Der Kontrast zwischen der Armut in Pond Inlet und der Luxuswelt unseres Schiffes könnte nicht extremer sein, und sollte uns zumindest demütig machen – und dankbar, dass wir nicht so leben müssen. Mit uns fahren ab heute Michael Milton und seine Freundin Malissa, zwei junge Einheimische, die uns in den nächsten Tagen noch weitere interessante Informationen über das Leben hier oben in der Arktis liefern und unsere Fragen beantworten werden.

Kapitän & die jungen Einheimischen Michael & Malissa
Am Nachmittag halte ich meinen dritten deutschen Vortrag: «Arktischer Sommer – ein kurzes Schlaraffenland», auf den ein sehr guter englischer Vortrag über Meeressäuger folgt, präsentiert von Anya Astafurova, einem Mittglied des Expeditionsteams. Am Abend dann ein spezielles Essen für alle deutschen Gäste auf der SH VEGA, zu dem unsere Schweizer Sterneköchin Alexandra Müller eingeladen hat.
Tag 8, Sonntag, 15. September 2024: Dundas Harbour & Crocker Bay
Am Morgen kommen wir auf Devon Island an, der grössten unbewohnten Insel der Welt. Das war nicht immer so, auch wenn Devon Island sicher niemals «überbevölkert» war. Abgesehen von Paläo-Inuit, die schon um 2500 v. Chr. hier siedelten, betrieb in der Neuzeit die Royal Canadian Mounted Police (RCMP) von 1924 bis 1933 und erneut von 1945 bis 1952 in Dundas Harbour einen Aussenposten. Das Ziel war, illegalen Walfang in den arktischen Gewässern zu unterbinden und den Anspruch Kanadas auf dieses nördliche Gebiet zu untermauern. Zu diesem Zweck wurden 1934 auch 52 Inuit auf der Insel angesiedelt, die aber 13 Jahre später aufs Festland zurückkehrten. Für kurze Zeit (1933-1936) wurde Dundas Harbour auch von der Hudson’s Bay Company als Handelsposten genutzt.
Wir besuchen am Vormittag die Ruinen einiger Häuser und die Gräber zweier ehemaliger RCMP-Mitglieder. Wie an vielen Orten in der Arktis gilt auch in Dundas Harbour: Mindestens drei Meter Abstand halten! Selbst eine herumliegende Holzlatte, eine verrostete Blechdose oder eine Glasscherbe gelten als «Archaeological Remains» und dürfen nicht angefasst, verrückt oder gar als Souvenir mitgenommen werden.

Ehemaliger Aussenposten Dundas Harbour
Am Nachmittag erreichen wir dann Crocker Bay, ebenfalls auf Devon Island. Hier fahren wir mit Zodiacs (einige mit Kajaks) an der Front eines Gletschers entlang – bis die Nachricht durchgegeben wird: Eisbär gesichtet! Alle Boote begeben sich sofort zu der Stelle. Wir können geraume Zeit vom Wasser aus eine Eisbärmutter an Land beobachten, und wundern uns, dass sie trotz unserer Nähe nicht wegläuft – bis wir den Grund erkennen: Neben ihr am Boden liegt ein Junges, das entweder verletzt, gelähmt oder schwach ist und daher nicht aufstehen und der Mutter folgen kann.
Tag 9, Montag, 16. September 2024: Radstock Bay & Beechey Island
Wir sind zunächst weiterhin bei Devon Island. Für heute Morgen war ein Landgang in Radstock Bay vorgesehen. Dort liegen am Fusse des Caswall’s Tower, einem imposanten Felsen, die Reste von Sodenhäusern aus der Zeit der Besiedlung durch Angehörige der Thule-Kultur. Leider muss der Ausflug wegen dichtem Nebel gestrichen werden – nicht, weil unsere Crew den Platz dann nicht finden würde, sondern weil man an Land nicht erkennen könnte, ob Eisbären in der Nähe sind. Also wird kurzfristig ein Alternativprogramm ausgearbeitet. Ich erhalte in meiner Kabine einen Telefonanruf: «Uli, can you in 25 minutes present an English lecture on polar bears?». Yes, I can! Der Vortrag kommt offenbar sehr gut an und wird dadurch abgerundet, dass sofort, nachdem ich geendet habe, ein weiterer Eisbär gesichtet wird.
Am Nachmittag hat sich der Nebel dann gelichtet. Wir können, wie vorgesehen, in Beechey Island an Land gehen. Glücklicherweise, denn hier befindet sich in einer kargen Landschaft mit einem kleinen Gräberfeld einer der ganz grossen Höhepunkte der Reise.

Drei Gräber von Mitgliedern der Franklin-Expedition. Im vierten ruht ein Seemann einer Suchexpedition.
Das wird nur verstehen, wer sich ein wenig mit der Geschichte der Polarforschung beschäftigt hat, speziell mit der fast 400 Jahre langen Suche nach der Nordwest-Passage und der wohl berühmtesten aller Expeditionen: der von John Franklin. Er hat den Winter 1845/46 auf Beechey Island verbracht. Bereits hier, im ersten Jahr der Reise, starben drei Männer seiner Mannschaft und wurden auf der Insel begraben. Damit nahm eine Tragödie ihren Anfang, in deren weiterem Verlauf alle 129 Besatzungsmitglieder umkamen. Keine der zahlreichen ausgesandten Such- und Rettungsexpeditionen fand Überlebende; aber manche stiessen auf weitere Leichen, Boote, Ausrüstungsgegenstände und andere Hinterlassenschaften. Sie erlaubten nach und nach die weitere Route der immer weniger werdenden Überlebenden zu rekonstruieren. Auch diese Suchexpeditionen haben ihre Spuren hinterlassen, auf Beechey Island z.B. ein viertes Grab und wenige hundert Meter von den Gräbern entfernt die Reste von Northumberland House, das eine der Suchexpeditionen für den Winter 1851/52 errichtet hatte. Erst 1914 und 1916 wurden weiter südlich am Meeresboden vor King William Island die Wracks der beiden Franklin-Schiffe Erebus und Terror entdeckt.

Northumberland House
Tag 10, Dienstag, 17. September 2024: Port Leopold & Elwin Bay
Heute Morgen wollten wir einen Landgang in Port Leopold machen – ein vielleicht etwas übertriebener Name für einen einstigen Handelsposten, der nur aus einem einzigen Haus bestand. Aber auch dieser Ausflug muss gestrichen werden, diesmal nicht wegen Nebel, sondern weil sich drei Eisbären in der Gegend herumtreiben. Also bringen die Zodiacs uns nicht an Land, sondern nur näher ans Ufer, um die Bären besser beobachten zu können – was für meine kleine Kamera jedoch immer noch zu weit ist, um ein Foto zu machen, das man vorzeigen kann. Aber nach Ende der Reise werden wir alle die hervorragenden Aufnahmen des Bordfotografen Andrew Miller erhalten.
Am Nachmittag findet dann in Elwin Bay eine weitere Zodiac-Ausfahrt statt: «in search for wildlife», wie es heisst. Mit spärlichem Erfolg. Ausser 3 Robben und einigen Vögeln (Dreizehenmöwen und Enten) ist nichts zu sehen. Die erhofften Weissen Wale (Belugas), die es in dieser Gegend gibt, zeigen sich nicht. Und drei dunkle «Gestalten», die im leichten Nebel auf die Entfernung zunächst als Moschusochsen deklariert wurden, erweisen sich beim Näherkommen als Ölfässer. Also kein sehr ereignisreicher Tag – und damit eine Gelegenheit, mal ein Ausruh-Bild zu zeigen , und zu erwähnen, dass wir mit Ausnahme von gelegentlichen Nebelfeldern seit Beginn der Reise immer fantastisches Wetter und ruhige See haben. Allerdings ist es draussen mit 1-2°C «a little cold», wie es in den Durchsagen heisst. Aber auch das könnte um diese Jahreszeit unangenehmer sein.

Lesestunde auf dem Balkon meiner Kabine
Am Abend dann um 18:30 Nickis Ausblick auf den kommenden Tag, gefolgt von meinem 20-minütigen Recap zu «Frost structures in Arctic landscapes» (Pingos, Steinkreise, Eiskeilpolygone und Strandwälle), von denen wir die beiden letzteren bei unserem gestrigen Besuch von Beechey Island gesehen haben.
Tag 11, Mittwoch, 18. September 2024: Fort Ross & Bellot Strait
Wir kommen planmässig am frühen Morgen bei Fort Ross an der Südspitze von Somerset Island an. Dort wurde 1937 direkt an der Bellot Strait der letzte Handelsposten der Hudson’s Bay Company errichtet, in der Hoffnung, die Felle der vielen Pelztiere auf der Insel direkt an vorbeifahrende Schiffe verkaufen zu können. Da sich die Versorgung der Station aufgrund der Eisverhältnisse als schwierig erwies, wurde sie 11 Jahre später wieder geschlossen. Von den ursprünglich vier Gebäuden stehen heute nur noch das des ehemaligen Managers und ein Lagerhaus. Das Lagerhaus wurde vor einigen Jahren instandgesetzt und dient heute Inuit-Jägern, Forschenden und Besatzungen kleiner Boote als Schutzhütte. Für andere ist der Besuch des Ortes nicht mehr gestattet. Daher müssen wir den ursprünglichen Plan, an Land zu gehen, fallen lassen. Aber auch ohne dieses Verbot hätten wir nicht landen können, weil … dreimal dürft Ihr raten. Richtig! Weil wieder Eisbären in der Gegend sind. Es sind die Exemplare 10 und 11 auf dieser Reise. So fahren wir stattdessen mit Zodiacs am Ufer entlang und entdecken dabei auch einen Polarfuchs in seinem schönen weissen Winterfell.

Die ehemalige Handelsstation Fort Ross
Nach der Rückkehr aufs Schiff hält Mariam Pousa vom Expeditionsteam einen interessanten, aber viel zu ausführlichen und nicht besonders gut gegliederten Vortrag über «Franklin’s Lost Expedition». Sie muss ihn aufgrund der Überlänge abbrechen, weil wir in die landschaftlich spektakuläre Bellot Strait einfahren, eine 25 Km lange und etwa 2 Km breite Meerenge zwischen Somerset Island und der Boothia-Halbinsel, der nördlichsten Spitze des kanadischen Festlands. Benannt ist die Enge nach dem Franzosen Joseph-René Bellot, der während seiner Suche nach der verschollenen Franklin-Expedition in der Nähe starb. Wegen der starken Gegenströmung mit bis zu 15 Km/Std. kommen wir nur schleichend durch die Pas-sage. Nach der Durchfahrt machen wir in einer Strzelicki Harbour genannten Bucht einen weiteren (unergiebigen) Zodiac Cruise auf der Suche nach Walen, Robben und anderen Tieren. Gegen Mitternacht beschliesst der Kapitän, in umgekehrter Richtung durch die Bellot Strait zurückzufahren, um dem starken Sturm zu entgehen, der für die Region vorhergesagt ist.

Annäherung an die Bellot Strait mit Blick auf faszinierende Felsformationen
Tag 12, Donnerstag, 19. September 2024: Tag auf See
Aufgrund des wetterbedingten gestrigen Kurswechsels ändert sich nun auch der weitere Reiseverlauf: Wir verbringen einen ganzen Tag auf See, mit Kurs nach Norden. Dadurch entfällt leider der Besuch von Conningham Bay, einer geschützten Bucht südöstlich von Price-of-Wales-Island. Hier hatten wir auf die bisher ausgebliebenen Walbeobachtungen gehofft, vor allem auf Belugas, die in den nährstoffreichen Gewässern leben. Stattdessen besteht die «Wahl» vieler Passagiere darin, den Tag im Bett in der Kabine zu verbringen. Zwar sind wir dem ganzen starken Sturm entkommen, aber bei einer Windgeschwindigkeit von 46 Knoten (=85 Km/Std) ist auch auf unserer jetzigen Route das Meer so rau, dass bei manchen selbst das bewährte Mittel «Stugeron» die Seekrankheit nicht verhindern kann. Daher ist nicht verwunderlich, dass die heutigen Darbietungen in der Observation Lounge weniger gut besucht sind als in den Vortagen. Am Morgen setzt Mariam ihren gestern unterbrochenen Vortrag über die Franklin-Expedition fort – noch mal genauso überlang wie der erste Teil.
Anschliessend informiert Michael Milton, der junge Halb-Inuit aus Pond Inlet, über das Kulturen übergreifende Forschungsprojekt Ikaarvik (= Brücke), an dem er beteiligt ist. Darin werden die Anliegen und Kenntnisse der lokalen Bevölkerung mit wissenschaftlichen Ansätzen aus weiter südlichen gelegenen Universitäten kombiniert, um drängende Probleme in Bereichen der natürlichen und sozialen Umwelt der Inuit zu bekämpfen, z.B. Luftverschmutzung, Müll, Arbeitslosigkeit und Alkoholismus.
Am Nachmittag besteht die Möglichkeit, in kleinen Gruppen die Brücke zu besuchen und sich vom Kapitän und seinen Offizieren Schiffstechnik und Navigation erklären zu lassen. Auch halte ich meinen vierten deutschen Vortrag, diesmal zum Thema: «Polarhasen und Polarwölfe – Ein spannendes Räuber-Beute-System der Arktis». Am Abend bin ich im Rahmen des täglichen Recaps dann noch mal dran, mit einem Kurzvortrag, der an unsere gestrige Sichtung eines Polarfuchses anknüpft: «Arctic Foxes – Small in Size but Great in Performance». Inzwischen hat der Seegang etwas nachgelassen, sodass die abschliessende Abendveranstaltung recht gut besucht ist. Anschliessend führen Gustav und Richard vom Expeditionsteam mit allen Anwesenden ein sehr lustiges Quiz durch, bei dem es nicht um die richtige Antwort geht, sondern darum, zu raten, welche Antwort am häufigsten genannt wird.

Tag 13, Freitag, 20. September 2024: Icy-Arm-Fjord (Baffin Island)
Am Vormittag setzen wir unsere Fahrt zunächst noch fort, jetzt bei ruhigerem Meer und weniger Seekranken, sodass die Veranstaltungen in der Observation Lounge wieder gut besucht sind. Anya hält ihren zweiten Vortrag über Wale, inhaltlich ebenso interessant wie der erste und in der Darbietung mit ebensolcher Begeisterung. Diesmal stellt sie verschiedene Arten von Barten- und Zahnwalen vor, die in den Gewässern von Grönland und der kanadischen Arktis vorkommen … können, von denen aber einige um diese Jahreszeit schon die Wanderung nach Süden in ihre Überwinterungsgebiete angetreten haben. Kurz darauf folgt eine sehr unterhaltsame «Towel Folding Demonstration» der guten Geister, die sich täglich um unsere Kabinen kümmern. Sie demonstrieren, wie man mit wenigen Handgriffen aus Handtüchern lustige Figuren erschaffen kann; anschliessend helfen sie Gästen bei ihren eigenen kreativen Versuchen.

Ein Handtuch-Zoo
Gegen Mittag erreichen wir im Norden von Baffin Island den Icy Arm Fjord und kreuzen den Rest des Tages mit der SH VEGA durch dessen grandiose Gebirgslandschaft. Der relativ starke Wind und das nasskalte Wetter laden nicht gerade zum Aufenthalt auf dem Aussendeck ein – bis die Durchsage kommt: «Narwale!» Sofort drängt alles nach draussen, eingehüllt in die warmen Swan-Hellenic-Parkas und ausgerüstet mit Fernglas und Fotoapparaten, vom Handy bis zum riesigen Teleobjektiv.

Narwal-Beobachtung unter erschwerten Wetterbedingungen
Zwar ist die Gruppe von vielleicht 5-6 auf- und abtauchenden Narwalen zu weit weg, um sie formatfüllend einzufangen, im Fernglas aber klar zu identifizieren. Ein Glücksfall, wie wir im abendlichen Recap erfahren: Andy, ein Mitglied des Expeditionsteams, hatte trotz seiner 30-jährigen Erfahrung in der Arktis bis zu diesem Zeitpunkt noch nie einen Narwal gesehen. Im Rahmen des Recap erhalten wir von Mike und Malissa, einen Schnellkurs in ihrer Sprache Inuktitut. kikkulimaat unnugummisarlutik; unnuup nunnguani imirlutik qunngiariaqturvingmut, tusarnaarlutik piqatiqarlutik René. Geschrieben sieht es so aus: ᑭᒃᑯᓕᒫᑦ ᐅᓐᓄᒍᒻᒥᑕᕆᐊᖅᑐᕐᓗᑎᒃ; ᑭᖑᓂᐊᒍᑦ, ᐃᓚᖏᑦ ᐅᓐᓄᑉ ᓄᙳᐊᓂ ᐃᒥᖅᖢᑎᒃ ᖁᙱᐊᕐᕕᖕᒥ, ᑐᓴᕐᓈᖅᑕᐅᒐᔪᒃᑐᒥᑦ ᐱᖃᑎᖃᖅᖢᑎᒃ ᕆᓇᐃᒥᑦ. (Soll heissen: Dann begeben sich alle zum Essen; danach lassen einige den Abend bei einem Drink in der Observation Lounge ausklingen, mit der üblichen musikalischen Begleitung durch René.)
Tag 14, Samstag, 21. September 2024: Cambridge Fjord
Für den heutigen Vormittag waren verschiedene Ausflüge vorgesehen: Bereits um 07:00 sollten sich die Kajakfahrer in die Boote begeben; um 08:00 wollten Interessierte zu einer gut zweistündigen Wanderung in hügeligem Gelände aufbrechen, und um 09:00 diejenigen, die sich für eine kürzere und leichtere Wanderung entlang einer flachen Uferzone entschieden hatten. Aber um 07:00, kurz nach Sonnenaufgang, kommt die Durchsage, dass alle Unternehmungen aus Sicherheitsgründen gestrichen wurden.

Sonnenaufgang bei Baffin Island
Wir haben wieder starken Wind, diesmal sogar von 66 Knoten (= 122 Km/Std). Das sei, so Nicki launig im abendlichen Recap, die Mindestgeschwindigkeit auf deutschen und die Höchstgeschwindigkeit auf Schweizer Autobahnen. Aber da der Wind direkt von vorn kommt, ist keinerlei Schiffsbewegung zu spüren. So setzten wir dann unsere Seereise mit der SH Vega fort, zunächst entlang der gewaltigen und teilweise bizarren Berg- und Gletscherwelt des Cambridge Fjords, und danach entlang der Küste von Baffin Island. Wer will kann sich zur Abwechslung von spektakulärer Landschaft in der Observation Lounge am Morgen zeigen lassen, wie man Seemannsknoten macht, und anschliessend eine Episode aus dem preisgekrönten BBC-Film «Frozen Planet» (deutsch «Eisige Welten») ansehen. Am frühen Nachmittag mein deutscher Vortrag über «Die Wikinger auf Grönland und in Nordamerika», gefolgt von einem englischen Vortrag über «Astrochemistry and the Origin of Earth’s Water». Am Abend im Recap dann erste Informationen, wie beim Auschecken in Kangerlussuaq vorzugehen ist – ein Anzeichen, dass die Reise sich bereits ihrem Ende nähert.

Gletscher im Cambridge Fjord
Tag 15, Sonntag, 22. September 2024: Quikiqtarjuaq
Seit gestern Abend sind wir auf See unterwegs, den ganzen Vormittag bei herrlichem Sonnenschein und ungewöhnlich hohen Temperaturen von 8-10°C. Land ist nur in der Ferne zu erkennen und ausser einigen Eissturmvögeln sind keine Tiere zu sehen. Daher wird ein reichhaltiges Unterhaltungsprogramm geboten. Schon um 08:00 Uhr bietet das Spa-Team in der Bibliothek zur Entspannung eine «Sound Therapie» mit «Incredible Tibetian singing bowls» an. Um 09:30 folgt mein englischer Vortrag über «Sea Monsters – Myth or Reality». Anya bietet einen Zeichungkurs an, in dem man lernt, arktische Tiere zu skizzieren, und unsere Schweizer Sterneköchin Alexandra demonstriert in der Observation Loung, wie man Crêpes Suzette produziert.

Crêpe Suzette mit Alexandra Müller
Am Nachmittag erreichen wir Quikiqtarjuaq, eine Inuit-Gemeinde mit gut 500 Bewohnerinnen und Bewohnern, die auf einer kleinen gleichnamigen Insel vor der Küste von Baffin Island liegt. Dort wandern wir – vorbei an einer Satelliten-Station – zu einem erhöhten Punkt ausserhalb des Ortes, von wo man einen schönen Rundblick in über den Ort und das umliegende Land und Meer hat. Die heute zivil genutzte Satelliten-Station war Teil der Distant Early Warning (DEW) Linie, einer Kette von Stationen, die sich in Zeiten des kalten Krieges durch die gesamte westliche Arktis zog, um rechtzeitig eventuelle russische Angriffe zu erkennen. Zurück im Ort besuchen wir kurz das kleine Museum. Dort heisst es, Quikiqtarjuaq sei die «Eisberghauptstadt der Welt», aber – wie auf der gesamten Fahrt durch die kanadische Arktis – sind kaum Eisberge zu sehen; und auf Meereis sind wir überhaupt nicht gestossen. Die Folgen des Klimawandels sind unübersehbar. Abschliessend erhalten wir im Community Center eine Vorführung, wie die Inuit traditionell ihre Behausungen mit Tranlampen erhellten und wärmten. Da wir von nun an zügig nach Osten fahren, müssen wir am Abend unsere Uhren eine Stunde vorstellen. Die Polarlicht-Durchsage um 23:30 erfolgt also nach unserer bisherigen Uhrzeit erst um 22:30 …
Tag 16, Montag, 23. September 2024: Auf See
… die Orca-Meldung am folgenden Morgen um 05:30 aber eigentlich noch erst 04:30. Wer sich aufraffen kann, sich schnell anzieht und an Deck stürzt (oder eine Kabine auf der richtigen Schiffseite hat), wird zwar nicht mit Orcas belohnt, aber mit fantastischen Beobachtungen von ca. 40-50 Nordischen Entenwalen, die im warmen Licht der aufgehenden Sonne ganz nah am Schiff schwimmen. Aber auch, wer liegen bleibt, hat im Laufe des Tages immer mal wieder Gelegenheit, Entenwale zu sehen, zwar nicht so viele und so nah wie früh am Morgen, aber dennoch ein Erlebnis. Vor allem aber steht der Morgen im Zeichen von König Neptun, dem Herren der Meere. Wir müssen ihn und seinen Hofstaat um Verzeihung bitten, dass wir mehrfach ohne seine Erlaubnis den Polarkreis überquert haben. Das ist auch der Grund, weshalb er uns mit zwei Tagen stürmischer See und gelegentlichem Nebel bestraft hatte. Als Busse gilt es, einen Fisch zu küssen (freiwillig), worauf man einen Aquavit erhält. 37 Mutige (1/3 aller Passagiere) zeigen ihre Ehrerbietung für Neptun anschliessend noch dadurch, dass sie sich beim «Polar Plunge» in das kalte Meer stürzen – und anschliessend wieder einen Aquavit erhalten. Am Abend finden wir alle in unserer Kabine eine von Kapitän und Expeditionsleiterin unterzeichnete Urkunde, die uns zum «Arctic Circle Explorer» ernennt.
Am Nachmittag halte ich dann unter dem Titel «Mit Hundeschlitten durch die Arktis» meinen letzten Vortrag. Darin geht es um die weniger bekannten Thule-Expeditionen des Grönländers Knud Rasmussen und die Grönland-Durchquerung des Schweizers Alfred de Quervain aus dem Jahr 1912. Insgesamt komme ich damit auf 6 deutsche und 4 englische Vorträge. Anschliessend folgt noch ein Vortrag von Mariam Pousa über «Amundsen & the North West Passage». Am Abend dann eine «Captain’s Farewell Reception».
Wir danken Kapitän Lyubomir Garciyanov mit standing ovation und seiner einmarschierenden Crew und dem Expeditionsteam mit grossem Beifall. Sie alle haben uns eine tolle Reise beschert. Sichtbarer Ausdruck der guten Stimmung sind auch die unbeschwerten Tänze, die einige Frauen aus unserer Schweizer Gruppe nach dem Essen zur Musik von René aufs Parkett legen. Ja, nur die Frauen!

Das Expeditionsteam mit seiner ausgezeichneten Leiterin Nicki (im blau-grünen Kleid)
Tag 17, Dienstag, 24. September 2024: Ankunft in Kangerlussuaq und Ausflüge
Nachdem wir gestern Abend unsere Uhren erneut eine Stunde vorgestellt haben, gibt es heute Morgen während der Fahrt durch den Kangerlussuaq-Fjord noch zwei unterhaltsame Darbietungen: Richard Simpson vom Expeditionsteam berichtet über seine abenteuerliche Antarktis-Expedition. Anschliessend wird die signierte Swan-Hellenic Flagge versteigert und per Los die Gewinnerin einer Grönlandkarte ermittelt, die ein künstlerisch begabtes Mitglied der Crew mit Zeichnungen von SH VEGA, Eisbär, Polarfuchs, Eissturmvogel u.a. Motiven verziert hat. Beides geht an unsere Schweizer Gruppe. Den Abschuss der Morgenveranstaltung bildet die Vorführung eines Videofilms, den der Bordfotograf Andrew Miller während unserer Reise aufgenommen hat. Am Nachmittag folgen dann noch drei letzte Ausflug-Möglichkeiten in die Umgebung von Kangerlussuaq, darunter eine anspruchsvolle Wanderung zum Russel-Gletscher und eine Busfahrt zum Rentier-Gletscher mit einer kürzeren und leichteren Wanderung (Abb. 23). Auf der Hinfahrt sehen wir sogar noch zwei Moschusochsen, wenn auch nur im Fernglas auf grosse Entfernung.

Ausflug zum Reindeer-Gletscher und Moschusochsen-Beobachtung
Am Abend dann das letzte Essen, zu dem wir Kapitän Lyubomir Garciyanov an den Tisch unserer Schweizer NZZ/MCCM-Gruppe eingeladen haben, was er offenbar sehr gern angenommen hat. Im lebhaften Gespräch bestätigt sich der Eindruck, den wir schon auf der ganzen Reise hatten: Er ist nicht nur beim Führen des Schiffes äussert kompetent, sondern auch ein sehr menschlicher Vorgesetzter, dem das Wohl seiner gesamten Crew am Herzen liegt. Nach dem Essen feiern wir in der Bar bei Kuchen und Champagner einen Geburtstag eines Gastes. Als Geschenk bekommt das "Geburtstagskind" dann noch einen wunderbaren Polarlichthimmel.
Tag 18, Mittwoch, 25. September 2024: Rückflug nach Reykjavik
Der nächste Morgen startet weniger fröhlich: Wir müssen schon kurz nach 4 Uhr aus den Federn, um auszuchecken – nach unserer bisherigen Zeit ist es sogar erst kurz nach 2 Uhr! Alle müssen ihren Pass vorzeigen und ihr am Vorabend vor die Kabine gestelltes Gepäck identifizieren; das wird anschliessend direkt zum Flughafen Kangerlussuaq gefahren und dort für uns eingecheckt. Wie können von 5-7 Uhr noch ein Frühstück zu uns nehmen, bevor wir unserem Gepäck folgen. Der Flug über Grönland nach Reykjavik bietet bei herrlichem Wetter noch einmal wunderschöne Ausblicke auf den riesigen Eisschild. Bei der Ankunft wartet auf uns ein Shuttlebus, der einige ins Hotel bringt, von wo sie einen Ausflug zur Blauen Lagune machen. Die anderen werden zunächst in die Stadt gefahren, besuchen dort einige Sehens-würdigkeiten (z.B. Hallgrimskirche, Kongresszentrum Harpa) und streifen durch die Gassen und Souvernirgeschäfte. Wir sind nicht die Einzigen: Im Hafen von Reykjavik liegt ein riesiges Kreuzfahrtschiff, dessen 3-4000 Passagiere offenbar die gleiche Idee haben.

Kongresszentrum Harpa (Innenansicht)
Tag 19, Donnerstag, 26. September 2024: Rückflug nach Zürich
Wieder heisst es gegen 4 Uhr aufstehen. In der Hotellobby wartet ein Kaffee und ein Lunch- bzw. Breakfast-Paket auf uns. Um 5 Uhr werden wir zum Flughafen gefahren; dann folgt die übliche Prozedur: Einchecken, Gepäck abgeben, Warten auf den Abflug, der pünktlich erfolgt und pünktlich in Zürich ankommt.
Herzliche Verabschiedung und dann individuelle Heimfahrt. Damit ist eine Reise beendet, die – nach den lachenden Gesichtern zu urteilen – offenbar allen sehr gut gefallen hat.
Texte & Bilder von Prof. Dr. Heinz-Ulrich Reyer.
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